Wie man eine Ausschreibung für die Auswahl eines LMS verfasst
Die Auswahl eines Lernmanagementsystems (LMS) scheitert in der Regel nicht an der Technologie, sondern an unklar definierten Erwartungen. Eine sorgfältig vorbereitete Ausschreibung sorgt für eine einheitliche Sprache zwischen Ihrem Team und den Anbietern, führt zu vergleichbaren Angeboten und verkürzt die anschließende Implementierung erheblich.
Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick über ausgewählte Bereiche des Ausschreibungsverfahrens: von der Definition der Ziele und Nutzer über Inhalte und Funktionen, Integration und Sicherheit bis hin zu Bewertungskriterien.
Tipp: Wenn Sie bereits konkrete Plattformen in Betracht ziehen, empfehlen wir Ihnen, zunächst intern die „Must-have“-Anforderungen zu formulieren und erst dann mit den Lieferanten zu verhandeln. So vermeiden Sie Ablenkungen durch Diskussionen über Funktionen, die für Ihre Anforderungen nicht wesentlich sind.
Wann sollte man mit der Ausschreibung beginnen und warum ist das wichtig?
Es ist sinnvoll, eine Ausschreibung zu erstellen, wenn Sie zumindest die groben Umrisse des Projekts kennen und einen grundlegenden Überblick über den Markt haben. Absolut entscheidend ist dies bei der Erstellung einer öffentlichen Ausschreibung. Eine korrekt verfasste Ausschreibungsunterlage dient als Referenzpunkt für alle Beteiligten: für Ihr internes Team und für potenzielle Lieferanten. Je genauer Sie den Kontext und die Erwartungen beschreiben, desto realistischer und vergleichbarer sind die Angebote, die Sie erhalten.
Kontext und Ziele: Legen Sie messbare Ergebnisse fest
Die Einleitung der Ausschreibungsunterlagen sollte in einigen Absätzen erklären, wer Sie sind, warum Sie ein LMS einführen oder umstellen und welche Ergebnisse Sie erwarten. Vermeiden Sie allgemeine Formulierungen und bevorzugen Sie messbare Indikatoren: zum Beispiel „Verkürzung der Zeit bis zum Abschluss der obligatorischen Schulungen für neue Mitarbeiter von 30 auf 21 Tage innerhalb von sechs Monaten nach Einführung des LMS“ oder „Erhöhung der jährlichen Abschlussquote der gesetzlich vorgeschriebenen Schulungen von 85 % auf 95 %“. Die so formulierten Ziele lassen sich anschließend in Bewertungskriterien, Szenarien und Abnahmetests umsetzen.
Tipp: Nehmen Sie auch negative Ziele in die Aufgabenstellung auf – also das, was das System nicht tun muss, nicht hat oder sogar unerwünscht ist. So verhindern Sie unerwünschte Anpassungen oder Erweiterungen durch potenzielle Lieferanten.
Benutzer, Rollen und Wachstum: Auswirkungen auf die Lizenzierung und Leistung
Viele Cloud- oder Box-Lösungen basieren auf einem Preismodell, das auf der Anzahl der Lizenzen (d. h. der Benutzer im System) basiert. Anbieter müssen wissen, wie viele Benutzer im System aktiv sein werden, welche Rollen sie haben werden (Student, Dozent, Administrator, Manager, Auditor) und wie sich die Benutzerzahlen Ihrer Erwartung nach in den nächsten 12 bis 24 Monaten entwickeln werden. Es geht dabei nicht nur um die Anzahl der Benutzer (und damit um die Anzahl der Lizenzen), sondern auch um die Auslastung des Servers und damit um die Kosten für dessen Leistung. Wenn Sie saisonale Spitzenzeiten erwarten – beispielsweise bei obligatorischen oder Produktschulungen – geben Sie dies bitte in den Ausschreibungsunterlagen an, damit der Lieferant die tatsächlichen Kosten für den Betrieb der Infrastruktur einkalkulieren kann.
Beispiel aus der Praxis: Eine Einzelhandelskette plante den Start obligatorischer Arbeitsschutzschulungen für 7.000 Mitarbeiter innerhalb von zwei Wochen. Da sie die Spitzenbelastung bereits in den Ausschreibungsunterlagen klar beschrieben hatte, schlug der Anbieter eine vorübergehende Leistungssteigerung vor und verhinderte so Ausfälle und Warteschlangen im System. In der Folge war die Auslastung der Server geringer, sodass auch die Betriebskosten im Voraus klar definiert werden konnten.
Inhalt und Standards: Denken Sie auch an die Analytik
Beschreiben Sie, welche Inhalte Sie im LMS betreiben werden: Handelt es sich um Kurse nach den Standards SCORM 1.2/2004, xAPI/cmi5 oder um Videos, PDFs oder Webinare? Geben Sie an, welche Autorenwerkzeuge Sie verwenden und wie der Veröffentlichungsworkflow aussehen wird. Wenn Sie detailliertere Analysen planen (z. B. die Verfolgung von Bildungsaktivitäten auch außerhalb des LMS), sollten Sie die Anforderungen an das LRS (Learning Record Store).
Tipp: Überlegen Sie, ob Sie Export- und Import-Tools, Muster-Migrationen und eine Übersicht über die Datenfelder benötigen. Wenn ja, vergessen Sie nicht, diese Informationen in der Aufgabenstellung zu erwähnen, um ein manuelles „Umschalten” der Daten oder eine zukünftige Bindung an einen bestimmten Anbieter zu vermeiden.
Funktionale Anforderungen: Szenarien sind wertvoller als Listen
Anstelle langer „Ja/Nein“-Tabellen empfehlen wir, einige repräsentative Szenarien zu beschreiben, die Ihre tatsächlichen Anforderungen widerspiegeln. Zum Beispiel: „Ein neuer Mitarbeiter in der Niederlassung Brünn wird automatisch entsprechend seiner Position und Sprache in den Onboarding-Prozess aufgenommen; sein Vorgesetzter erhält einen wöchentlichen Leistungsüberblick, die Personalabteilung einen monatlichen Gesamtbericht.“ Erst dann knüpfen Sie an diese Szenarien mit einer Funktionsstruktur an (Tests, Zertifikate, Lernpfade, Inhaltsempfehlungen, Gamifizierung, Benachrichtigungen, Kurskatalog, Bibliothek, Fähigkeiten und Kompetenzen, Dashboards, Berichtsinhalte). Beschreiben Sie anhand von Beispielen, welche Benutzer mit dem System arbeiten werden und wie sie damit arbeiten werden. Der Lieferant versteht so den Prozess, die Prioritäten und die geplante Nutzung des Systems besser und kann eine relevante Konfiguration vorschlagen.
Praxisbeispiel: Bei den Dienstleistungen der Shared Services Center reichte es aus, drei gut beschriebene Szenarien zu definieren, um einen der ursprünglichen Favoriten auszuschließen – er war nicht in der Lage, den Managern ohne zusätzliche Entwicklung regelmäßige und übersichtliche Berichte zu liefern.
Integration: Beschreiben Sie Datenflüsse und Verantwortlichkeiten
Die Integration sollte nicht nur eine Auflistung von Logos sein. Geben Sie an, welche Systeme Sie verwenden (HRIS/ERP, Microsoft 365 oder Google Workspace, Webinar-Tool usw.) und welches System die „Quelle der Wahrheit” für Benutzerdaten sein wird (wird es Ihr CRM oder das zukünftige LMS sein?). Beschreiben Sie klar die Organisationsstruktur, Rollen und Berechtigungen im System. Die beschriebenen Datenprozesse – wer legt Benutzer an, wer verwaltet und weist Rollen zu, wer plant Webinare und wo werden die Ergebnisse gespeichert – verhindern Missverständnisse bei der Implementierung.
Sicherheit und Compliance: Definieren Sie ein Minimum ohne Kompromisse
Formulieren Sie die Sicherheitsanforderungen konkret: Welche Zertifizierungen verlangen Sie (z. B. ISO 27001), wie wird die Verschlüsselung der Daten „im Ruhezustand” und „während der Übertragung” gelöst, wie lange sollen die Audit-Aufzeichnungen aufbewahrt werden und wie sieht die vertragliche Regelung zur Verarbeitung personenbezogener Daten aus? Geben Sie bei internationalen Projekten an, wo die Daten gespeichert werden sollen (z. B. in der EU). Klar festgelegte Mindestanforderungen beschleunigen die rechtliche und sicherheitstechnische Bewertung nach der Auswahl des Lieferanten erheblich.
Beispiel aus der Praxis: Im Finanzdienstleistungsbereich verzögerte sich die Ausschreibung für einen LMS-Anbieter um mehrere Wochen aufgrund von Anforderungen an die Audit-Protokolle. Teil der Ausschreibung war die „Protokollierung von Aufzeichnungen für zukünftige Zwecke”, jedoch war nicht klar definiert, was protokolliert werden sollte, warum, in welcher Form, wo und wie lange.
Barrierefreiheit und Lokalisierung
Barrierefreiheit ist kein Zusatz, sondern eine Notwendigkeit. Geben Sie an, dass die Benutzeroberfläche WCAG 2.2 entsprechen muss. Geben Sie Sprachvarianten und Anforderungen an die Lokalisierung oder das Branding des Systems an – möchten Sie eigene Farben, ein eigenes Logo oder eine eigene Typografie? Wie oft wird sich das Erscheinungsbild des Systems ändern? Ist das überhaupt möglich? Solche Informationen helfen dabei, den Arbeitsaufwand rechtzeitig abzuschätzen und spätere „schnelle” Eingriffe zu vermeiden.
Tipp: Bitten Sie den Anbieter, in der Demo/im Beispiel auch die Arbeit mit dem System zu demonstrieren. Viele Mängel werden sofort sichtbar.
Betriebsmodell und SLA: Cloud vs. On-Premise und Support-Erwartungen
Die Entscheidung zwischen Cloud und On-Premise hängt von Sicherheits-, Integrations- und Betriebsanforderungen ab. Die Cloud punktet in der Regel mit einer schnelleren Bereitstellung und einer geringeren Belastung der internen IT, während On-Premise dort zum Einsatz kommt, wo eine starke Isolierung und detaillierte Kontrolle der Umgebung erforderlich sind. Definieren Sie in der Aufgabenstellung die erwartete Verfügbarkeit, Reaktions- und Reparaturzeiten für den Support, den Backup-Plan und die Wiederherstellungstests. Ein klar formuliertes SLA ist die beste Vorbeugung gegen Enttäuschungen.
Migration und Implementierung: Planen Sie realistisch und schrittweise
Die Migration bestehender Daten ist oft der anspruchsvollste Teil eines Projekts. Soll die neue Lösung die Migration bestehender/archivierter Daten ermöglichen? In welchem Umfang? Wo sind diese Daten gespeichert? In welchem Format können Sie historische Daten bereitstellen? Beschreiben Sie den Umfang und die Quellen der Daten (Benutzer, Ergebnisse, Zertifikate, Kurse), die Zuordnungsregeln und die erwartete Datenbereinigung.
Legen Sie bei der Implementierung die Rollen auf beiden Seiten, den Schulungsplan für Administratoren und Dozenten sowie das Abnahmeverfahren fest. Fordern Sie rechtzeitig eine Testumgebung an, damit die Szenarien kontinuierlich überprüft werden können.
Praxisbeispiel: Eine Organisation mit einem historischen LMS hat nur laufende Zertifizierungen und obligatorische Aufzeichnungen in das neue System übertragen, während die Archivdaten im alten LMS verblieben sind, das für normale Benutzer gesperrt wurde. Die Lieferung des LMS wurde günstiger und die Implementierung der Lösung verkürzte sich um fast einen Monat.
Bewertungskriterien und Matrix: Wie man Angebote fair vergleicht
Um die Angebote der Lieferanten vergleichen zu können, vereinheitlichen Sie die Kriterien und deren Gewichtung. In der Praxis hat es sich bewährt, den funktionalen Anforderungen und Integrationen das größte Gewicht beizumessen, die Zugänglichkeit und Sicherheit separat zu bewerten und die Gesamtkosten über einen Zeitraum von 12 bis 36 Monaten transparent zu bewerten. Denken Sie auch an Referenzen – die Erfahrung des Anbieters in ähnlichen Umgebungen ist oft entscheidend für einen reibungslosen Ablauf der Implementierung.
Tipp:Bitten Sie die Bewerber im Rahmen der Ausschreibung um eine tabellarische Übersicht über die Erfüllung Ihrer Anforderungen mit den Möglichkeiten des angebotenen LMS (erfüllt / teilweise erfüllt / nicht erfüllt + Kommentar) – im Falle von „Standardlösungen” um eine kontrollierte Demonstration nach Ihren Szenarien. So erhalten Sie eine objektivere Grundlage für die Punktebewertung.
Preismodelle und Betriebskosten: Blicken Sie über das erste Jahr hinaus
Der Preis eines LMS hängt nicht nur von der Anzahl der Nutzer ab. Unterscheiden Sie, ob die Lizenzierung auf der Gesamtzahl oder der aktiven Nutzer basiert und wie „Aktivität“ definiert ist (monatlich, vierteljährlich). Geben Sie an, welche Module Sie für obligatorisch halten und welche optional sein können. Lassen Sie sich bei der Implementierung und Anpassung klar beschreiben, was feste Posten sind und was erwartete Posten sind, die im Rahmen der Implementierung oder des späteren Betriebs noch steigen können. Bewerten Sie die Kosten über einen längeren Zeitraum, da auch Integration, laufende Anpassungen, Schulungen und Weiterentwicklungen in die Kosten einfließen.
Die häufigsten Fehler und wie man sie vermeidet
Zu den häufigsten Fehlern gehören fehlende messbare Ziele, eine unklare Aufteilung der „Must-have“- und „Nice-to-have“-Anforderungen sowie unterschätzte Integrationen und Migrationen. Ein weiteres Risiko besteht darin, sich auf den Anschaffungspreis zu konzentrieren, ohne die späteren Betriebskosten zu berücksichtigen. Die meisten dieser Probleme lassen sich bereits bei der Erstellung der Aufgabenstellung berücksichtigen und in Bewertungskriterien oder Serviceverträge einfließen lassen.
Sie möchten das nicht alleine bewältigen?
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